Nicht immer wurde geholfen
Die 81-Jährige Olga Ridinger ist nun seit 28 Jahren in Deutschland, sie kam 1994 mit ihrer Mutter nach Norddeutschland und lebte zuvor 53 Jahre in der Ukraine. Bei ihrer Migration nach Deutschland konnte sie wenig aus ihrem Heimatland mitnehmen, lediglich „zwei Decken, vier Kissen und ein wenig Geschirr“.
Dennoch hatte sie gemischte Gefühle beim Ankommen, wobei auch Neugier eine große Rolle spielte. Nach ihrer Ankunft in Deutschland kam Frau Ridinger gemeinsam mit ihrer Mutter bei ihrer Schwiegermutter unter, welche Betten bereitstellte, und auch die Schwägerin half ihnen viel. Olga Ridinger war sehr dankbar dafür. Danach kam sie in ihre Wohngemeinschaft nach Vorwerk, mit anderen Spätaussiedlern. Frau Ridinger ist gebürtige Ukrainerin und hatte Probleme beim Verständigen als sie Deutschland erreichte, da ihr die Sprache schwerfiel. Mittlerweile hat sich dies deutlich verbessert, denn man versteht ihr Deutsch einwandfrei. Auf die Frage, wie sie das erreicht hat, meinte sie: „Ich habe viele Filme geguckt und viel gelesen“.
In Deutschland hatte Frau Ridinger schlechte Aussichten, mit einem Beruf Fuß zu fassen, da ihre beiden Studiengänge aus der Ukraine hier nicht anerkannt worden sind. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete sie immer wieder „hier und da“, aber hatte ein schlechtes Einkommen und keine feste Stelle auf Dauer. Im Gespräch fiel auf, dass sie sehr offen über Finanzen redet. Sie erwähnte, dass dies in der Ukraine üblich ist, und die Deutschen Geld und Vermögen als Privatsache sehen und solche Informationen ungern teilen.
Olga Ridinger hat verschiedene Schicksalsschläge erlitten, durch die sie aber noch stärker geworden ist. Ihr Mann, welcher gut Deutsch konnte und eine große Hilfe beim Zurechtfinden in Deutschland war, starb an Leukämie und innerhalb von 10 Monaten starben zwei Brüder ihres Mannes ebenfalls an Leukämie. Mit ihrem Mann hat sie zwei Söhne, welche gut in Deutschland Fuß fassen konnten, der eine begann hier sein Studium, und der andere beendete die Schule in Deutschland. Der Kontakt zur Familie aus der Ukraine ist eingestellt, aber sie findet sich damit ab, da sie weiß, dass es ihnen gut geht. Sie leben mittlerweile im kalten Norden Russlands und haben sich dort ein Leben aufgebaut. Außerdem hat Olga Ridinger sehr viel über ihre Enkel geredet, auf die sie sehr stolz ist. Sie schließt Kinder schnell in ihr Herz.
Als sie ankam, fand sie schnell neue Bekanntschaften und freundete sich mit vielen Deutschen an. Was ihr fehlte, war die Offenheit und Herzlichkeit, die in der Ukraine größer war. Wenn jemand Hilfe brauchte, dann war immer jemand zur Stelle. Das sei ihr in Deutschland so nicht oft widerfahren. Sie berichtete zum Beispiel, dass sie jeden Tag drei Kilometer zu Fuß zur Arbeit gehen musste und sie niemand mit dem Auto mitgenommen hat, obwohl viele die gleiche Strecke gefahren sind. Ein anderes Beispiel ist, dass sie absolut keine finanziellen Unterstützungen vom Staat bekommen haben und sich alles selber aufbauen mussten. Die Werte liegen in Deutschland nach Frau Ridinger woanders, wo in Deutschland auf Luxus und Image nach Außen geachtet wird, wird in der Ukraine auf Harmonie und Freundlichkeit wert gelegt. Dennoch ist Olga Ridinger zufrieden hier. Was ihre Religion betrifft, ist sie Mitglied in einer evangelischen Kirche und hat auch eine enge Verbindung zu Gott. In ihrer Wohngemeinschaft in Vorwerk ist sie sehr zufrieden, da sie Einsamkeit nicht leiden kann, und sie erzählte, dass sie mit einem Mann seit der Migration gut befreundet war und es sehr schön für sie sei, dass sie diesen guten Freund immer noch an ihrer Seite hat, da er auch in der Gemeinschaft in Vorwerk lebt. Außerdem hat Olga Ridinger uns eine Weisheit mit auf den Weg gegeben: „Wir sind geboren, um zu sterben.“ Das blieb uns besonders im Gedächtnis.
Das Gespräch verlief sehr gut und teilweise auch sehr flüssig, doch ab und zu brauchte Frau Ridinger ein paar Pausen, um nachzudenken. Sie wollte ein paar wenige Fragen nicht beantworten, was völlig in Ordnung ist. Wir schätzen sie als eine besonders lebensfrohe und herzliche Dame ein, und sie hat im Interview sehr viel gelacht, was einen besonders sympathischen Eindruck vermittelt hat. Wir bedanken uns bei Olga für die Bereitschaft, uns für ein Interview zur Verfügung zu stehen sowie ihre Erinnerungen und Erfahrungen mit uns zu teilen.