„Es gab viele Demos, da haben sogar Autos und Mülltonnen gebrannt.“
Florian
Aufwertung von Stadtteilen zu Lasten der Armen
Für unser Forschungsthema haben wir uns mit dem städtischen Prozess der Gentrifizierung in Hamburg beschäftigt, sprich der Aufwertung einzelner Stadtbezirke vor dem vermeintlichen Hintergrund, die Gebäudesubstanz oder das Image eines Viertels nachhaltig zu verbessern – in Wahrheit handelt es sich bei einer Gentrifizierung allerdings tatsächlich auch immer um eine soziale Verdrängung gesellschaftlicher Milieus und Gruppen, zumeist der dort ursprünglich ansässigen Wohngemeinschaften. Um dies in Hamburg historisch zu untersuchen, wählten wir für unser Thema den Zeitraum der späten 1980er und 1990er Jahre und legten uns auf die Stadtteile Rahlstedt und Altrahlstedt fest.
Diesbezüglich führten wir ein Interview mit Florian, der uns als Zeitzeuge direkt etwas über diese Zeit schildern konnte. Florian ist Mitte 40 und in Hamburg aufgewachsen. Er hat eine Ausbildung als Anlagenmechaniker und als IT-Kaufmann absolviert und hat Maschinenbau studiert. Heute lebt er in Hamburg Rahlstedt. Aktuell ist er als Vertriebsingenieur tätig. Florian eignet sich als Gesprächspartner, weil er zu betroffener Zeit in Hamburg gelebt hat und uns so, aus eigener Erfahrung, unsere Fragen beantworten kann.
Wir haben uns für das Gespräch bei Florian Zuhause getroffen, da es vom Zeitmanagement am besten gepasst hat und zugleich für den Zeitzeugen am angenehmsten war. Dort gab es ein angemessenes Umfeld, in dem wir uns mit Florian gut austauschen konnten. Zuallererst haben wir unser Schul-Projekt vorgestellt und haben ihn zum Thema Gentrifizierung aufgeklärt, bzw. haben definiert, was damit gemeint ist, sodass beide Seiten dasselbe Verständnis für das Thema vorweisen. Anschließend haben wir Florian gefragt, wo er in den 80er/90er Jahren gelebt hat, damit wir uns ein Bild von der Umgebung machen können. Florian ist viel umgezogen, hat aber hauptsächlich in Rahlstedt gewohnt, aber auch zwei Jahre in Großlohe, was durchaus eines unserer geographischen Untersuchungsgebiete ist, da es an Rahlstedt regional direkt angrenzt. Zudem antwortete Florian auf die Frage: „Inwiefern waren Sie von der Gentrifizierung betroffen?“, dass er selbst wenig davon mitbekommen hat. Das könnte an Florians Alter zu dieser Zeit liegen, da das Empfinden der Umgebung bei Jugendlichen zumeist anders ist als bei Erwachsenen, da Jugendliche in der Regel beispielsweise keine Kosten für Wohnraum tragen müssen.
Wir haben Florian daraufhin gefragt, wer seiner Meinung nach von der Gentrifizierung betroffen war. Arbeiterviertel waren stark betroffen, aufgrund der dort lebenden Leute mit durchschnittlich geringerem Einkommen. Besonders ältere Leute, welche durch die geringe Rente keinen finanziellen Halt mehr hatten, waren im Allgemeinen stark belastet, aber auch Kinder sowie deren Eltern und Freunde. Vor allem diese Familien können sich die deutlich angestiegenen Mieten im Alter nicht mehr leisten, was dazu führt, dass sie ihre ursprünglichen Wohnungen verlassen müssen.
Außerdem haben wir erfahren, dass die Ursachen für die Gentrifizierung verschieden sind, aber die sogenannten Rentenlücken den Großteil der Probleme stellen. Wodurch sich zu erkennen gibt, dass das geringe Renteneinkommen im Alter für viele Betroffene ein Problem darstellte. Die Suburbanisierung der 1960er und 70er, welche den Eigenheimbau und die Errichtung von Wohnsiedlungen im „Speckgürtel“ der Stadt förderte, trug ebenfalls dazu bei. Dadurch entstand in den Außenbereichen des Stadtkerns finanzieller Druck auf den Mietenspiegel, was laut Florian dazu führte, dass Menschen mit geringerem Einkommen sich die Preissteigerungen ihrer Monatsmieten nicht mehr leisten konnten.
Wie erwähnt, haben sich durch die kritische finanzielle Situation viele Menschen dazu entschieden, zu demonstrieren: „Es gab viele Demos, da haben sogar Autos und Mülltonnen gebrannt.“ Das zeigt uns, dass die betroffenen Menschen die Situation nicht einfach so hinnehmen wollten oder auch konnten, da sie anderenfalls hätten umziehen müssen. Leute waren gezwungen, aus ihrer gewohnten Umgebung wegzuziehen und so ihre Komfortzone zu verlassen. Sie hatten dann anfangs nicht das Gefühl, in der neuen Wohnunterkunft anzukommen, weil sie gezwungen waren, aus ihrer alten auszuziehen. Dieser Gedanke lässt sich schwer verdrängen. Daher hatten die Leute nicht das Gefühl, angekommen zu sein, und wenn, dann erst nachdem sie über ihre alte Wohnung hinweg waren. Diese emotionale Betroffenheit resultierte vor allem daraus, dass diese Menschen eben nicht „freiwillig“ ihre alten Wohnungen in Rahlstedt verlassen wollten, sondern dass sie aufgrund ihrer finanziellen Situation, sich die teureren Mieten nicht mehr leisten zu können, durch Wohnungsbaugesellschaften, Wohnungsgenossenschaften, aber auch durch Behörden wie der Hamburger Sozialbehörde, aus ihren angestammten Wohnungen sozial verdrängt worden sind. Und diese gesellschaftliche Abwertung sowie der Verlust ihrer mit idealen Werten besetzten Wohnung hat natürlich sehr stark Florian zufolge an den Menschen „genagt“ und sie seelisch verletzt.
Das Interview mit Florian hat gezeigt, dass die Gentrifizierung ein großes Thema in den 1980er/90er Jahren war, auch wenn der Begriff vielleicht nicht bekannt war. Wir haben erfahren, dass Familien aus ihren Wohnungen ausziehen mussten, weil deren Geld nicht mehr gereicht hat. Zudem waren Rentner betroffen, da ihre Rente ebenfalls keinen sicheren Halt mehr geboten hatte.
Wichtig finden wir zudem, dass der Prozess der Gentrifizierung keinesfalls abgeschlossen ist oder in Hamburg je als abgeschlossen angesehen werden könnte.
Wir danken Florian für seine Zeit und seine Bereitschaft, seine Erfahrungen mit uns zu teilen.
Autoren: Tom und Civan