Vier Schüler und eine Schülerin mit ihrer Interviewpartnerin
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Es ist ein Wettbewerb entstanden

Angela Thomas ist 57 Jahre alt und in Berlin aufgewachsen. 1981 ist sie dem Werk für Fernsehelektronik (WF) Berlin beigetreten, welches im östlichen Teil der Stadt liegt, und hat dort ihre Lehrausbildung gemacht. Dort arbeitete sie, bis das Werk 2006 geschlossen wurde. Nach dem Mauerfall teilte sich ein Teil des Unternehmens auf, welches dann Samsung hieß.
Angela Thomas lebt bis heute noch in Berlin Treptow-Köpenick und bekommt nun eine Berufsunfähigkeitsrente.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in zwei Teile geteilt – die DDR und die BRD. Die DDR entschied sich für die zentralistische Planwirtschaft, das bedeutet, dass jedes Unternehmen bestimmte staatliche Vorgaben erfüllen musste. Beispielsweise waren die Preise und Herstellungskosten festgelegt. Dagegen wählte die BRD die soziale Marktwirtschaft als Kompromiss zwischen einer Marktwirtschaft nach US-Amerikanischem Vorbild und dem Sozialsystem in Deutschland. Dies führte zu einem unerwartet schnellen und nachhaltigen Wirtschaftswachstum, dem Wirtschaftswunder. Im Gegensatz dazu erging es der Planwirtschaft in der DDR immer schlechter, da die Betriebe ohne Konkurrenz keinen Anreiz hatten, gute Produkte herzustellen und zu vermarkten.

Angela Thomas eignete sich als Gesprächspartnerin, da sie vor und nach der Wende im WF Berlin gearbeitet hat und daher die wirtschaftlichen Veränderungen der DDR-Unternehmen selbst miterlebte. Aus diesem Grunde konnte sie viele Eindrücke bezüglich der Veränderungen von sich selbst, aber auch von anderen Kollegen sammeln und nun mit uns teilen. 

Für das Gespräch haben wir Angela in einem Restaurant in Köpenick getroffen. Sie hat selbst vorgeschlagen, sich dort zu treffen, weil das Restaurant in der Nähe ihrer Wohnung liegt. In dem Restaurant war es relativ ruhig und so konnten wir ungestört sprechen.

Zunächst haben wir ihr allgemeine Fragen zum Unternehmen gestellt. Hauptsächlich produzierte das Unternehmen Röhren für elektrische Geräte. Dazu gehörten beispielsweise Stabilisator-Röhren, Senderöhren und nachher auch Bildröhren für die Farbfernseher. Dort arbeitete sie acht Stunden täglich auf Arbeitslohn. Schließlich haben wir uns mit den Unterschieden vor und nach dem Mauerfall beschäftigt.

Zu Beginn erklärte sie uns, dass es auch bereits vor dem Mauerfall Anzeichen einer politischen Wendung gab. So hing beispielsweise in ihrem Unternehmen im Gang ein Zettel, welcher einen Aufruf zu einem Friedensgebet beinhaltete. Diese endeten jedoch gewalttätig mit Verhaftungen durch Staatsbeamten. 

Nach der Wende unternahm die halbe Belegschaft aus Neugier einen Ausflug in den Westen. Bis Deutschland eine Nation war, musste man ein Visum bei der Polizei beantragen. Daher häuften sich Anträge der DDR-Bürger und die Schlangen vor der Polizeistation wurden länger.

Aufgrund des Mauerfalls haben sich auch die Preise verändert. So wurden viele Produkte preiswerter, die aus dem Westen stammten und waren zusätzlich qualitativ hochwertiger. Zum Beispiel kostete ein Fernseher nach der Wende weniger als davor und man hatte statt etwa nur vier Programme nun eine viel größere Auswahl an Programmen.

Eine Veränderung gab es auch bei der Währung. Angela Thomas erzählte, dass sie direkt nach der Wende Westgeld erhielten und daher sich auch die Preise aus dem Westen im Osten etablierten. So erzählte beispielsweise Frau Thomas, dass manches teurer und manches preiswerter wurde. Die verbesserte Qualität zeigte sich an der erhöhten Auswahl neuer Fernsehsender beim BRD-Fernseher. Daraus lässt sich also schließen, dass man nach der Wende eine bessere Qualität der Produkte für einen niedrigeren Preis bekommen hat, wobei man in der DDR Ware erhielt, die nicht auf dem neuesten Stand war wie im Westen Deutschlands. Weiter erzählte sie, dass man in der DDR einen Monatslohn von 800 Mark bekommen hat, welcher ausreichend für ein bodenständiges Leben war.

Durch die Wende hat sich jedoch vor allem die Produktion verändert. So berichtete Angela Thomas, dass die Technik im Westen weitaus fortgeschrittener war und sie dadurch bestimmte Erzeugnisse aus dem Osten nur noch für eine gewisse Übergangszeit brauchten. Auf diese technische Überholung des Westens gegenüber dem Osten folgte eine Massenentlassung von Mitarbeitern, da die Unternehmen keinen Nutzen für die Mitarbeiter fanden. Allein im Unternehmen, in dem Frau Thomas tätig war, wurden rund 4.000 von etwa 9.000 Arbeitskräften entlassen. Dies war sehr ungewöhnlich für die Arbeiter, da man früher in der DDR immer eine Arbeitsstelle hatte und man sonst als „asozial“ bezeichnet wurde. Demzufolge entstand zwischen den Kollegen nun ein Konkurrenzkampf um einen Arbeitsplatz, wodurch auch gute Teamarbeit und die Hilfsbereitschaft untereinander verschwanden. 

Einige Unterschiede gab es auch beim Thema der Sicherheitsvorkehrungen. Hier erzählte Frau Thomas uns, dass, im Gegenteil zur DDR früher, im Betrieb Bilder und Fotos gemacht werden durften. Doch im Allgemeinen waren die Veränderungen der Sicherheitsvorkehrungen nicht gravierend.

Durch die Wiedervereinigung haben die Westunternehmen den Ostunternehmen große Konkurrenz gemacht. Beispielsweise war die Technik aus dem Westen mit ihrem Satelliten-Fernsehen viel besser als das Antennenfernseher aus dem Osten und so wollten die Kunden natürlich das bessere Produkt kaufen. Da man aber die bessere Westtechnik, beispielsweise das Satellitenfernsehen, nicht von heute auf morgen im östlichen Teil übernehmen konnte, lief die Senderöhrenproduktion so lange in dem Unternehmen, wo Frau Thomas gearbeitet hat, bis das Satellitenfernsehen und Kabelfernsehen voll im Osten verfügbar waren. Die endgültige Einstellung der Produktion in dem Unternehmen erfolgte dann 2005 in Berlin. Samsung stellte die Produktion ein, weil die Digitalfernseher die Röhren-Fernseher ablösten und die in dem Unternehmen produzierten Bildröhren durch LCD-Bildschirme ersetzt wurden.

Eine große Befürchtung, die die DDR-Bürger vor der Wiedervereinigung hatten, hat sich aber bestätigt. So wurden viele ehemalige DDR-Bürger durch die Wende später arbeitslos.
Das lag beispielsweise daran, dass die Westunternehmen im Osten keinen Standort aufmachen wollten, da deutsche Arbeiter teurer waren als asiatische Arbeitskräfte.

Abschließend sagte Frau Thomas uns, dass die Veränderungen durch die Wende viele negative Aspekte mit sich brachten, wie beispielsweise die schon genannte Arbeitslosigkeit und das Gefühl von einem neu entstandenen Wettbewerb, der die Teamarbeit stark schädigte. Die DDR hatte nämlich natürlich auch ihre Vorteile, wie zum Beispiel, dass der Druck beim Arbeiten nicht so hoch war und man dadurch als Gemeinschaft in einem Unternehmen angenehmer zusammengearbeitet hat. Aber trotzdem würde sie nie wieder in die Verhältnisse der DDR zurückwollen, da ihr wichtiger ist, dass Deutschland wieder vereint und die Mauer gefallen ist.

Wir danken Angela Thomas für ihre Zeit und ihre Bereitschaft, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen.

Autor:innen: Ivonne & Vincent

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