„Ich fand es klasse, dass es so ist, ich fand es nur eine unglaubliche Frechheit, wie drüben alles demontiert und zerschlagen wurde, alles, was gut war, da war auch Vieles. […] Diese ganze Lüge von den blühenden Landschaften, die jetzt drankommen würden und stattdessen mussten alle Leute abwandern und mussten woanders arbeiten gehen.“

Bert Henning, 61 Jahre

Schriftzug "Grober Unfug" über einem Schaufenster
© Aller Anfang ist...?

„Grober Unfug“ in West-Berlin

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in zwei Teile geteilt – die DDR und die BRD. Die DDR entschied sich für die zentralistische Planwirtschaft, das bedeutet, dass jedes Unternehmen bestimmte Vorgaben erfüllen musste. Außerdem waren Preise und Herstellungskosten festgelegt. Dagegen wählte die BRD die soziale Marktwirtschaft als Kompromiss zwischen einer Marktwirtschaft wie in Amerika und dem Sozialsystem in Deutschland. Dies führte zu einem unerwartet schnellen und nachhaltigen Wirtschaftswachstum, dem Wirtschaftswunder. Im Gegensatz dazu funktionierte die Planwirtschaft in der DDR immer schlechter, da die Betriebe ohne Konkurrenz keinen Anreiz hatten, gute Produkte herzustellen oder die Produktion zu verbessern. Als die DDR-Unternehmen nach der Wende plötzlich dem Konkurrenzkampf der sozialen Marktwirtschaft ausgesetzt waren, gingen viele bankrott und wurden geschlossen oder wurden von West-Unternehmen aufgekauft.

Unser Interviewpartner war Bert Henning, der 1961 in West-Berlin geboren wurde. Dort entdeckte er früh den Spaß am Comic lesen und zeichnen. Heute ist er 61 Jahre alt und wohnt in Steglitz-Zehlendorf. Er ist ein Mitbesitzer des Comicladens „Grober Unfug“, in dem er auch arbeitet.

Unsere Leitfrage für das Forschungsprojekt lautete: „Inwiefern haben sich soziale und wirtschaftliche Erwartungen und Hoffnungen durch den Mauerfall im wiedervereinigten Berlin erfüllt?“ Da sich unsere Gruppe aber mit dem Teilthema Wirtschaft beschäftigte, lautete unsere Forschungsfrage „Welche Auswirkungen hatte der Mauerfall und die darauffolgende Wiedervereinigung Deutschlands auf Unternehmen?“. 

Bert Henning eignete sich als Interviewpartner, da er sich zur Zeit des Mauerfalls und der Wiedervereinigung in Berlin aufhielt. Er war damals bereits 28 Jahre alt, weshalb er sich an diese Zeit gut erinnern konnte. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt bereits Mitbesitzer des Comic-Ladens „Grober Unfug“. So konnte er unsere Fragen aus der Perspektive eines Unternehmers beantworten. 

Bei einer Recherche nach Geschäften, die bereits zu DDR-BRD-Zeiten existierten, stießen wir auf den Comic-Laden „Grober Unfug”. Dort begegneten wir Herrn Henning, der sich sofort zu einem Interview bereit erklärte. Das Interview fand direkt an seinem Arbeitsplatz im Comic-Laden statt. Dort befanden wir uns zwar in einer lauten, aber für ihn vertrauten Umgebung.

Bert Hennings Erfahrungen

Der Comicladen „Grober Unfug” wurde von drei Lehrern zu einer Zeit gegründet, in der Comics noch schlecht angesehen waren. Mit dieser Ladengründung verfolgten sie das Ziel, Comics als Kunstform zu etablieren und dieses neue Medium zu fördern, indem sie Ausstellungen und Signierstunden in ihrer Galerie gaben. Heutzutage bieten die Angestellten, größtenteils selbst Comiczeichner, ihr Expertentum in Sachen Comics in zwei Läden an. Sie verkaufen größtenteils aus den USA oder direkt aus Japan importierte Comics. Seit Gründungszeiten herrscht dort eine sehr liberale Stimmung, die Bert Henning sofort auffiel und dafür sorgte, dass er 1984 erst als Aushilfskraft und seit 1987 auch als Mitbesitzer im Unternehmen mitwirkte. 

Für Bert Henning war die Existenz der Mauer, als einer der damals Jüngeren, eine Tatsache, er gehörte nicht mehr zu jenen, die das DDR-Regime in Frage stellten. Er erinnert sich noch heute, rund 33 Jahre später, an den Mauerfall. An diesem Tag hatten er und einige Kollegen eine Party veranstaltet, als plötzlich ein Kollege hereinstürzte und erzählte, dass die Mauer offen sei. Sie machten sich gemeinsam auf den Weg zum Checkpoint Charlie, wo sie plötzlich eine riesige, johlende Menschenmasse erblickten. Er hätte sich damals nicht vorstellen können, dass „man einfach rüber kann“. Die Auswirkungen des Mauerfalls merkte er schon am ersten Tag: „Es war der Horror, die Bude war einfach voll“, der Comicladen platzte aus allen Nähten, so viele neue Kunden waren eingetroffen. Die Ost-Berliner bezahlten mit ihrem Willkommensgeld oder tauschten, was bei Second Hand Sachen lange Zeit nicht unüblich war. 

Der Mauerfall hatte auch Auswirkungen auf die Produktpalette, denn viele Ost-Berliner versuchten Comics zu verkaufen, während viele West-Berliner DDR-Comics kaufen wollten. Auf die Preise hatte der Mauerfall und der darauffolgende Ansturm aber keine Auswirkungen, da es im Buchhandel feste Preise gibt (Buchpreisbindung). 

Der „Grobe Unfug“ nutzte die Chance und expandierte in den Osten, sie eröffneten einen neuen Laden in der Waldmeisterstraße, für den sie überwiegend ostdeutsche Zeichner einstellten. Bert Henning erzählt, dass sie damals wohl ziemlich „klischeebeladen“ gedacht hatten, dass die Ost-Berliner nur Sonderangebote haben und Kohle sparen wollten. Er war positiv überrascht, als sich herausstellte, dass die Ost-Berliner Geschmack hatten und bereit waren, viel Geld für qualitativ hochwertige Comics zu bezahlen.

Seiner Meinung nach hatten viele Menschen im Osten einen Nachholbedarf bei den Klassikern, zu denen er zum Beispiel Asterix und Obelix zählt. Zu ihren neuen Kunden zählten selbst einige Bibliotheken, die Comics in ihr Repertoire aufnehmen wollten. Im Gespräch mit ihm erfuhren wir auch, dass er es großartig fand, dass er Verwandte jetzt sehr einfach besuchen konnte. Allerdings hält er es für eine „unglaubliche Frechheit“, wie die Industrie im Osten zerstört wurde und die Menschen dort „untergebuttert“ wurden. Am Ende des Gesprächs empfahl er uns die Comicbibliothek Renate, die von Zeichnerkollegen aus dem Ostteil betrieben werde und in der man sich Comics ausleihen könne.

Fazit

Unsere Forschungsfrage „Welche Auswirkungen hatte der Mauerfall und die darauffolgende Wiedervereinigung Deutschlands auf Unternehmen?“ war Grundlage für dieses Interview. Auf dieser Grundlage haben wie eine These abgeleitet, denn ein Interview reicht nicht, um die Forschungsfrage zu beantworten. Die von uns aufgestellte These lautet: Der Mauerfall und die darauffolgende Wiedervereinigung Deutschlands hatten eher positive Auswirkungen auf westdeutsche Unternehmen. So wie das, in dem Bert Henning arbeitet. Die Auswirkungen des Mauerfalls und der Wiedervereinigung waren zum Beispiel, dass er mit seinen Partnern einen weiteren Laden eröffnen konnte und mehr Kunden bekam. Allerdings könnte man anhand dieser Erfahrungen vermuten, dass viele West-Unternehmen von der Wiedervereinigung profitieren konnten, während viele Ost-Unternehmen bankrottgingen.

Wir danken Bert Henning für seine Zeit und seine Bereitschaft, seine Erfahrungen mit uns zu teilen.

Autoren: Henri & Finley

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