Ich werde hier bleiben!
Emilia Preiß ist 71 Jahre alt, Russlanddeutsche und lebt seit 1990 in Winsen (Aller). Geboren wurde sie in Sibirien. Sie kam damals als Spätaussiedlerin, ihrer Tante folgend, mit ihren zwei Söhnen und ihren Eltern nach Deutschland.
Der Grund ihrer Migration war die damalige politische und wirtschaftliche Situation in der Sowjetunion und die Verbundenheit mit der „deutschen Identität“.
Frau Preiß eignete sich als Gesprächspartnerin, da sie die Erfahrung machte, als Spätaussiedlerin nach Deutschland zu kommen und wir so ein Zeitzeugeninterview mit ihr führen konnten. Dieses erwies sich in der Vergangenheit als die beste Möglichkeit, um sich einen Einblick in die Gedanken, Wünsche und Sorgen von Spätaussiedlern zu verschaffen. Mithilfe der Schilderungen und Erzählungen bekommt man einen deutlichen Eindruck der Erfahrung einer Spätaussiedlerin.
Bei einem „Frühstückstreffen“ in einem Kirchenforum in Vorwerk mit der gesamten Klasse bzw. Forschungsgruppe und allen Interviewpartner*innen trafen wir, Hanna und Helen, das erste Mal aufeinander. Nachdem wir gemeinsam gefrühstückt hatten, wurden die Interviewpartner*innen auf die Forscherteams aufgeteilt und wir begaben uns mit Frau Preiß in die forumseigene, behaglich wirkende Küche.
Zunächst fragten wir Frau Preiß, im Anschluss an eine Vorstellungsrunde, nach ihrer Schulzeit und ihrem darauffolgenden Berufsleben. Sie beschrieb die Schulzeit in der Sowjetunion positiv und erzählte, dass sie danach als Telegrafistin, ein Wunschberuf, arbeitete. In Deutschland angekommen arbeitete sie, nach Absolvierung eines Sprachkurses, zehn Jahre in einem Hotel und danach bei Schlecker als Lageristin. Probleme hatte sie bei der Jobsuche keine, ein Jahr lang wurde sie anfänglich noch finanziell unterstützt.
Danach wollten wir wissen, wie es ihren Kindern in der deutschen Schule erging. Sie wurden eine Klassenstufe „heruntergestuft“, kamen jedoch sehr schnell gut zurecht. Frau Preiß begründete das damit, dass sie schon damals in der Sowjetunion gelegentlich Plattdeutsch miteinander sprachen und dadurch eine Starthilfe gegeben war.
Wir erkundigten uns dann nach ihrer Wohnsituation in der Sowjetunion und in Deutschland. Von Sibirien zogen sie 1968 nach Kasachstan zu ihrer Tante. In Deutschland angekommen wurden sie in einem Hotel untergebracht und kamen von dort aus, mit ein paar Umwegen, in ein Wohnheim in Hermannsburg. Später wurde Frau Preiß mit ihrer Familie dann drei Jahre lang ein Haus zur Verfügung gestellt. Sie beschreibt die Wohnungssuche als reibungslos und die Nachbarschaft in Deutschland als sehr hilfsbereit, sodass sie sich direkt willkommen fühlte.
Wir wollten auch wissen, wie sich Frau Preiß‘ Sozial- und Privatleben in Deutschland gestaltet und sie erzählte, sie habe sich schnell mit Einheimischen angefreundet, immer wieder betonte sie, die von ihr empfundene deutsche Freundlichkeit. Zu Hause sind sie und ihre Familie hauptsächlich unter sich und sprechen Russisch, nur wenn jemand, der kein Russisch sprechen kann dabei ist, reden sie auf Deutsch. Frau Preiß ist in der Landsmannschaft der Russlanddeutschen als Kassenwartin tätig.
Im Anschluss kamen wir auf Preiß‘ Erwartungen, Gefühle und Eindrücke in Bezug auf die Migration zu sprechen. Sie hatte keine Erwartungen an Deutschland, bevor sie hierherkam, es gab für sie keine andere Möglichkeit. Sie betont, dass sie sehr zufrieden ist, nach Deutschland gekommen zu sein und dass sie nie wieder zurückgehen wolle. Auch ihrer Familie ergeht es so. Sie hatte nie Heimweh und ihr Wunsch, sich zu einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen, wurde erfüllt. Nur sehr selten wurde Frau Preiß aufgrund ihrer Herkunft in Deutschland diskriminiert oder beleidigt. Eine „gängige“ Beleidigung ist „Du Russe“, wovon sie sich angegriffen fühlt, da sie, so Preiß, „schließlich keine Russin ist“.
Daraufhin wollten wir noch wissen, ob sie findet, dass ausreichend über Russlanddeutsche aufgeklärt und informiert wird. Frau Preiß findet, dass eindeutig zu wenig über die Geschichte informiert wird. Durch Halbwissen und dadurch resultierende Falschaussagen fühlt sie sich häufig angegriffen und verletzt. Sie fühlte sich schon immer als Deutsche, diese Identität wird aber häufig von anderen falsch aufgenommen bzw. missverstanden. Dadurch entsteht bzw. entstand oft ein „Fremdheitsgefühl“, sowohl in der Sowjetunion als auch in Deutschland.
Wir hätten nicht erwartet, dass Frau Preiß ihre Erfahrungen in Deutschland als überwiegend positiv beschreibt und kein Zerrissenheitsgefühl zwischen den Nationalitäten empfindet. Auch, dass die Job- und Wohnungssuche reibungslos ablief, war wider Erwarten.
Das Interview hat uns gezeigt, dass ein Beginn eines neuen Lebensabschnittes in einem neuen Land nicht zwangsläufig schwierig sein muss, wenn man an seinen Wünschen und Zielen festhält und dafür kämpft. Natürlich wird es immer einige Hürden geben, diese können aber überwunden werden! Abschließend kann man sagen, dass das Interview sehr bereichernd und informativ war.
Wir danken Frau Preiß sehr für ihre Zeit und ihre Bereitschaft, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen.