© Aller Anfang ist...?

Traumverwirklichung nach Haft

Anne Hahn ist heute 56 Jahre alt und ist in Magdeburg (DDR) aufgewachsen. Heute lebt sie sowohl in Magdeburg als auch in Berlin. Sie und ihr Bruder sind Kinder eines Ingenieurs, der beim Spezialbaukombinat Magdeburg gearbeitet hat, und einer Krankenschwester, die psychisch Kranke sowie geistig Behinderte behandelt hat. Anne Hahn ist Autorin und teilt ihre Geschichte nicht nur in Büchern, sondern auch in Vorträgen, die sie bspw. in Gefängnissen und Schule hält.

Anne Hahn eignet sich perfekt für unser Unterthema „Ankommen im wiedervereinigten Berlin – Mauerfall im Gefängnis“, da sie zum Mauerfall im Gefängnis war. 

Nachdem das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg verloren hatte, wurde es von den Siegermächten Frankreich, Großbritannien, USA und der UDSSR untereinander aufgeteilt. Der Osten, also Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Ost-Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wurde der UDSSR unterstellt und somit sozialistisch. Viele Ostdeutsche sahen den Westen und die damit einhergehende Demokratie als besser an. So flohen viele der Menschen in den Westen, was der Regierung nicht gefiel. Sie baute daraufhin Anfang der 60er Jahre eine Mauer, die die Ostdeutschen davon abhalten sollte, in den Westen zu fliehen. Der Schießbefehl wurde eingeführt und alle, die bei der Flucht nicht erschossen wurden, kamen ins Gefängnis. Der Mauerfall war ein bedeutendes historisches Ereignis in der Geschichte Deutschlands. Er wurde durch viele politische und gesellschaftliche Proteste ausgelöst und ermöglichte es den Bürgern der DDR und der BRD, ohne Probleme auf das jeweils andere Staatsgebiet zu gelangen. Durch dieses Ereignis wurde die Wiedervereinigung in Gang gesetzt, welche schließlich am 03.10.1990 geschah.

Wir haben uns mit Anne Hahn in einem Café am Ostkreuz getroffen. Es war laut, trotzdem war die Atmosphäre angenehm und entspannt. Dort hat sie uns von ihrer Vorgeschichte, ihrer Flucht, ihrer Zeit im Gefängnis und den Moment des Mauerfalls erzählt. Sie hat uns nicht nur alle Situationen erklärt, sondern auch erläutert, welche Gefühle sie dabei verspürt hat.

Anne Hahn wurde 1966 in Magdeburg geboren und lebte eine normale Kindheit, bis sie sich das erste Mal mit 14 fragte, wo sie lebt, da sie als Akademikerkind mit 1,3 Durchschnitt nicht zum Abitur zugelassen wurde. Sie stellte immer mehr kritische Fragen, was sie oft in Schwierigkeiten brachte, und wurde zum Punk. Sie war dann der Stasi bekannt und konnte somit nicht mehr studieren und arbeiten.

So beschloss sie, dass es ihre einzige Möglichkeit sei, zu fliehen. Über eine Freundin beantragten sie und ein Freund von ihr einen Urlaub in Aserbaidschan. Eigentlich wollten sie von Georgien in die Türkei fliehen, aber durch politische Unruhen haben sie dort keinen Urlaub bekommen. So fuhren sie in einen kleinen Ort, Mincivan, an der aserbaidschanisch-iranischen Grenze. Der Fluchtversuch lief allerdings schief und die beiden Freunde wurden in die DDR in verschiedene Gefängnisse gebracht.

Anne Hahn war in mehreren Gefängnissen, bis sie in das Frauengefängnis Hohenleuben in Thüringen gebracht worden ist. Dort mussten die Insassen den Rand von Stofftaschentüchern nähen. Frau Hahn lebte in einer Etage mit den politischen Gefangenen, aber wollte aus Trotz nicht arbeiten, woraufhin sie ihre Norm nicht erfüllte und immer weiter strafversetzt wurde. Am Ende landete sie bei den Kriminellen in einer großen Halle voller Nähmaschinen. 

Anne Hahn schaute, genauso wie die anderen Insassen, am 9.11.1989 „die aktuelle Kamera”, wo unter anderem auch Bilder aus Ungarn gezeigt wurden, auf denen Ostdeutsche in den Westen fuhren. Am nächsten Morgen wurden sie dann von den Gefängniswärtern über das undenkbare informiert: die Mauer ist gefallen. 

Es gab eine Amnestie, die vorsah, die Sträflinge nach ihrem Benehmen im Strafvollzug zu entlassen. Das heißt, dass die Sträflinge mit der besten Arbeit und dem besten Benehmen zuerst entlassen wurden, und die mit dem schlechtesten Benehmen zuletzt. Anne Hahn kriegte mit, wie immer mehr Frauen entlassen wurden, und da sie dies für Schikane hielt, kontaktierte sie daraufhin über eine Freundin, die früher entlassen wurde, ihre Mutter, um beim Bürgermeister Magdeburgs auf ihre Freilassung zu drängen.

Drei Tage nachdem sie aus dem Gefängnis kam, besuchte Anne Hahn ihre Eltern und einige Freunde in Magdeburg. Ende November ist sie mit ihrem ehemaligem Fluchtkomplizen in ein Aufnahmelager in den Westen gefahren. Anne Hahn reiste später in mehrere Länder Europas und sah selbst dort die Freude der Menschen. Abgeschlossen hat sie dann ein achtjähriges Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Germanistik in Berlin.

Als überraschend empfanden wir die Flucht, nicht nur wie sie ausgegangen ist, sondern auch den Verlauf der Flucht. Wir finden es äußerst beeindruckend, wie Menschen versuchten, ihre Freiheit zu erkämpfen, obwohl sie sich den möglichen schwerwiegenden Konsequenzen bewusst waren. 

Als Anne Hahn aus dem Gefängnis entlassen wurde, kam sie nicht nur im Westen, sondern auch in der Freiheit an. Sie fand, dass es im Westen sauberer, bürgerlicher, freier und frecher war, was sie sehr bewunderte. Sie sagte: „Ich habe einen totalen Kulturschock bekommen, als ich das erste Mal in einen Buchladen gegangen bin, ich hab immer […] gern gelesen und da standen dann alle Bücher, von denen ich schon immer geträumt habe. Ich wollte mal Kafka lesen, wollte mal dies und das und die Weltliteratur und das stand da einfach rum. Du konntest alles kaufen. Und dann habe ich angefangen zu heulen.” Sie ist nicht nur im wiedervereinigten Deutschland angekommen, sondern auch in ihrem Traum zu studieren und eine erfolgreiche Autorin zu werden. 

Wir bedanken uns für das Interview herzlich bei Anne Hahn und wünschen ihr weiterhin viel Glück.

Autor:inne: Donika & Till

Diese Webseite verwendet die technisch vorgeschrieben und notwendigen Cookies, sowie Google Fonts. Mehr Informationen finden Sie hier: Datenschutz.

Technisch notwenige Cookies