Wie haben Menschen das Ankommen an einem neuen Ort erlebt? Wie ist es, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen? Und welche unterschiedlichen Herausforderungen gibt es für diejenigen, die sich in einem Prozess des Ankommens befinden?
Um verschiedene Lebenserfahrungen kennenzulernen hilft nur eins: Nachfragen. Das Projekt Aller Anfang ist…? Ankommen multiperspektivisch – Schüler:innen forschen nach gab Jugendlichen die Möglichkeit, genau dies zu tun und somit Geschichte und Gegenwart ihres Umfelds selbst zu erforschen. Unter dem übergeordneten Projektthema „Ankommen“ bearbeiteten Schulklassen aus ganz Deutschland unterschiedliche Themen. Beispielsweise fragten sie Mütter unterschiedlicher Generationen, wie es mit ihrem Berufsleben weiterging nach der Geburt eines Kindes oder sie interviewten sogenannte Russlanddeutsche zu ihren Erfahrungen nach der Ankunft in Deutschland in den 1990er Jahren.
Ankommen als Leitthema
Die Auseinandersetzung mit „Ankommen“ bietet vielfältige Anknüpfungspunkte – von historischen Alltagskontexten bis hin zu aktuellen Erfahrungen unserer Gesellschaft. Oft wird der Begriff im Kontext von Migration und Integration genutzt. Dabei kommen wir alle in unserem Leben ständig irgendwo neu an. An einer neuen Schule, im Studium, in einem neuen Job. In einer neuen Wohnung, in einer neuen Stadt, vielleicht sogar in einem neuen Land. In der Pubertät, im Familienleben, im Alter. Im digitalen Zeitalter, in der Pandemie, in Zeiten des Klimawandels. Bewusst haben wir das Überthema daher offengehalten und Ankommen nicht nur auf einen räumlichen Kontext beschränkt. Die Themen der Schüler:innen, die von den Klassen selbst bestimmt wurden, nähern sich daher auch aus unterschiedlichen Perspektiven der Thematik. Dies zeigt auf, dass Umbrüche uns alle betreffen können und Ankommen per se nichts Außergewöhnliches ist oder nur „außenstehende“ Gruppen betrifft. Dennoch kann der Prozess des Ankommens für alle Betroffenen eine Herausforderung darstellen und geht mit sehr individuellen Erlebnissen einher. Diese Erfahrungen zu erforschen hilft auch im Alltag, sich in Neuankömmlinge aller Art in unserem Umfeld hineinzuversetzen und ihnen passende Hilfestellungen zu bieten. Denn eins zeigte sich in den Klassenprojekten: Unterstützung durch andere Menschen erleichtert den Prozess des Ankommens enorm.
Arbeit mit Zeitzeug:innen
Aus Schulbüchern und den Nachrichten lernen Schüler:innen zumeist Zahlen und Fakten zu gesellschaftlichen Ereignissen. Im Rahmen des Projekts Aller Anfang ist…? bekommen sie die Gelegenheit, Interviews mit Zeitzeug:innnen zu ihrem Klassenthema zu führen, um so selbst erforschen zu können, was die politischen und gesellschaftlichen Umstände für ihre Gegenüber bedeute(te)n.
Zeitzeug:innen sind Menschen, die über eigene Erfahrungen in Bezug auf ein Ereignis oder eine historische Periode sprechen können. Dies kann auch ein Ereignis sein, das erst kürzlich stattgefunden hat. Ziel ist es, dieses Ereignis oder eine Zeitspanne aus der Perspektive der Befragten zu betrachten. Wie erlebten die Menschen diese Zeit? Es geht also nicht primär darum, historische und politische Entwicklungen zu rekonstruieren, sondern die subjektiven Erfahrungen der Befragten kennenzulernen.
Die Interviews wurden vom Projektteam mit den Schüler:innen im Rahmen eines Workshops vorbereitet. Dazu wurde der Klasse die Methode des Leitfadeninterviews vemittelt und in praktischen Übungen erprobt. Damit ausgestattet führten die Schüler:innen in kleinen Forschungsteams eigenständig ihre Interviews. Im Anschluss leitete das Projektteam in einem zweiten Workshop eine inhaltliche sowie methodische Reflektion an.
Bei allen methodischen Stationen des Forschungsprozesses wurden die Jugendlichen von einem eigens für das Projekt entwickelten Forschungstagebuch begleitet.
Ziel des Projektes
Im Mittelpunkt des Projekts Aller Anfang ist…? steht die Idee, sozialwissenschaftliche Forschung für Jugendliche erlebbar und persönlich zu machen. Es soll zeigen, dass Experimente und Forschung nicht nur Teil von MINT-Fächern sind, sondern auch in Fächern wie Politikwissenschaft, Sozialkunde, Geschichte oder Ethik eingesetzt werden können. Dazu brachte das Projekt Wissenschaft und Schule zusammen. Ebenso agierte es an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftskommunikation und politischer Bildung. Mit Blick auf den Zuwachs bei populistischen Bewegungen ist es von großer Relevanz, Hintergründe zu kennen, einzuordnen und Sachverhalte differenziert betrachten zu können. Aller Anfang ist…? bot zweierlei: Es wurde nicht nur Hintergrundwissen erworben, sondern auch aufgezeigt, wie dieses zustande kommt. Ebenso lernten junge Menschen dabei, generalisierende Narrative und vermeintlich objektive Informationen kritisch zu hinterfragen. So konnten das Lernen von Fakten und meinungsorientierte Diskussionen, beispielsweise im Politik- oder Geschichtsunterricht, durch eigene Recherchearbeit ergänzt werden.