„Mein erster Eindruck vom Mauerfall war enttäuschend.“

Ingmar Wendel, 55 Jahre

© Aller Anfang ist...?

War meine Flucht umsonst?

August, 1961 – die Mauer, die Grenze zwischen dem Westen und Osten. Deutschland ist nun entzweit in den Osten, die Deutsche Demokratische Republik, und den Westen, die Bundesrepublik Deutschland. Viele Menschen versuchten der Mauer zu entkommen, jedoch scheiterten sie. Sie kamen ins Gefängnis oder wurden ermordet.
28 Jahre später, am 9. November 1989 fällt die Mauer, die Deutschland so lange trennte. Wir haben im Rahmen des Projektes „Aller Anfang ist…“ ein Interview mit einem Zeitzeugen geführt, welcher selbst einen Fluchtversucht machte, und ihn gefragt, wie sich der Mauerfall damals anfühlte.

Unser Zeitzeuge heißt Ingmar Wendel. Er ist geboren im Jahr 1967. Er ist seit drei Jahren unser Klassenlehrer. Dadurch, dass er bereits eine vertraute Person ist, war er bereit dazu, unsere Fragen gerne zu beantworten. Wir haben Ingmar am 11.10.2022 gegen 12 Uhr in unserem Klassenraum getroffen, um das Interview durchzuführen. Das informative Gespräch verlief sehr angenehm und in Ruhe.

Heute lebt Ingmar mit seiner Frau und seinen Kindern in Berlin. Aufgewachsen ist er in Rostock, mit seinen Eltern und seiner Schwester. Beim Mauerfall war er 22 Jahre alt und Student. Seine Familie war in ganz Deutschland verteilt – seine Eltern und seine Schwester in der DDR bei ihm, jedoch sein Onkel zum Beispiel in der BRD. 

Das Leben in der DDR empfand er als grauenvoll, da er immer das Gefühl von Unterdrückung hatte. Deshalb wollte er die DDR verlassen, aber er stellte keinen Antrag auf ständige Ausreise, sondern startete mit Freunden einen Fluchtversuch über Ungarn nach Westdeutschland. 

Als sie in Budapest waren, kurz davor nach Österreich zu fliehen, wurden sie jedoch erwischt und gefangen genommen. Schließlich verbrachte er wenige Tage im Gefängnis. Danach musste er zur Westdeutschen Botschaft, welche ihm das Prozedere erklärte: „Ihr müsst zurück in die DDR. Dort könnt ihr einen Antrag auf ständige Ausreise stellen. Dieser wird genehmigt“. Und so war es auch. Als Ingmar zurück in der DDR war, stellten sie einen Ausreiseantrag, welcher darauffolgend genehmigt wurde. Nun war er ausgebürgert. 

Als Kind dachte er immer, dass der Westen der Ort sei, wo alles gut ist, keine Probleme existieren würden und es jedem gut geht. Doch als er im Westen ankam, stellte er fest, dass es eine vom Konsum geprägte Welt ist. Ingmar empfand, dass der Westen alles hatte und dies auch nutzte, da sie unter amerikanischen Einfluss lebten.

Zur Zeit des Mauerfalls wohnte Ingmar bereits in Hessen, im Odenwald bei Verwandten. Vom Mauerfall erfuhr der ehemalige DDR-Bewohner durch die Nachrichten. Ingmar antwortet auf die Frage, wie er sich nach dem Mauerfall fühle mit „tatsächlich war ich erst ein wenig enttäuscht“, klärt seine Aussage jedoch schnell auf. Er war enttäuscht darüber, dass er sein Leben riskiert habe, nur um zu hören, dass zwei Monate später die Mauer fiel. Jedoch war er trotzdem glücklich darüber, dass er nun die Chance hatte, seine Familie und Freunde zu besuchen. Dadurch, dass er bisher nur einen kleinen Job hatte und später in Wien studieren wollte, hatte der Mauerfall keine großen Ausmaße auf seine Karriere.

Ingmars Erwartungen an das Leben im Westen waren sehr durch Werbung geprägt. So stellte sich heraus, dass das, was immer so nach „Freiheit“ aussah, sich in Realität ganz anders darstellte. Die Freiheit hängt von der sozialen Situation ab: Hat man Geld? Hat man einen Arbeitsplatz? Das alles waren Sachen, die ihm nicht sehr bewusst waren. Jedoch war mit dem Mauerfall das furchtbare Gefühl der Unterdrückung weg. Endlich hatte er das Gefühl nicht mehr unterdrückt zu Leben – so leben zu können, wie er wollte.

Wir bedanken uns sehr bei unserem Klassenlehrer Ingmar Wendel für seine Bereitschaft unsere Fragen zu beantworten.

Autorinnen: Julia, Hannah & Linnea

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