Ein Walkman und eine Dose Cola: „Das war mein Wunsch, das wollte ich und das habe ich mir gekauft.“
Riccardo Weiß, 47 Jahre
Angekommen in West-Berlin – Jugendliche zur Zeit des Mauerfalls
Riccardo Weiß ist heute 47 Jahre alt und ist im Ost-Berlin der DDR aufgewachsen, wo auch seine komplette restliche Familie lebte. Er lebt heute immer noch in Ost-Berlin, wo auch seine Kinder aufwachsen und zur Schule gehen. Zur Zeit des Mauerfalles war er 14 Jahre alt.
Riccardo Weiß wurde in Ost-Berlin geboren. Zu der Zeit gab es eine streng bewachte Mauer zwischen den beiden Teilen Berlins. Da die DDR von der Sowjetunion und die BRD von den Westmächten unterstützt wurden, lagen beide im Streit. Um sich abzuschotten, baute die DDR eine Mauer zwischen sich und der BRD und auch um West-Berlin. 14 Jahre später wurde Riccardo geboren und erlebte als Jugendlicher in Ost-Berlin die Zeit, als die DDR zusammenbricht und die Mauer in Berlin und Deutschland nach 28 Jahren des Bestehens fällt. Natürlich hat das Hoffnungen und Wünsche ausgelöst. Über diese haben wir mit Riccardo besprochen.
Da Riccardo der Vater von Janek ist, fand das Interview bei ihnen zu Hause statt. Deshalb gab es keine besonders förmliche Atmosphäre. Es hat sich angefühlt wie ein normales Vater-Sohn-Gespräch. Es war aber ein bisschen angespannt, weil sie dabei aufgenommen wurden.
Als Riccardo am 9. November früh aufstand, ahnte er noch nicht, was für ein einschneidendes Ereignis in wenigen Stunden in der deutschen und Berliner Geschichte passieren würde und auch am Rest des Tages bekam er nichts vom Mauerfall mit. Erst am nächsten Tag in der Schule merkte er, dass etwas anders war. Einige Lehrer und Schüler fehlten und alle anderen redeten darüber, dass die Mauer gefallen sei. Seine ersten Gedanken galten seinem Bruder, der Grenzsoldat war und die Mauer bewachte. Als er dann aber erfuhr, dass es ihm gut ging, freute er sich mit den anderen.
Am nächsten Tag ist er dann auch mit seiner Mutter „rübergegangen“. Erwartungen hatte er eher weniger. Beide haben ihr Begrüßungsgeld abgeholt, das 100 Mark pro Person betrug und jeder DDR- Bürger bekam. Zur Grenze kamen sie relativ einfach, da sie einfach mit der Straßenbahn zur Mauer fuhren. Als erstes sind beide einkaufen gegangen. Von den 100 Mark hat Riccardo sich einen Walkman und eine Dose Cola gekauft. „Das war mein Wunsch, das wollte ich haben und das habe ich mir gekauft.“
Er hatte dann natürlich auch Hoffnungen, was dieser Umbruch mit sich bringen möge, dass alles demokratischer wird, aber eigentlich wollte er die DDR auch behalten.
Nach diesem ersten Mal ist er noch ein paar Mal mit seinen Eltern „rübergegangen“ und später auch mit seinem Kumpel Jan. Mit ihm ist Riccardo damals zum Ku’damm gefahren und hat sich Klamottenläden angeguckt. Mode war für ihn damals ein großes Thema. Mit 14 wollte er cool aussehen, weil es jetzt die coolen Sachen aus dem Westen gab. Die waren natürlich teuer und das Geld wurde knapp. Seine Eltern standen nicht mehr so fest im Leben wie vorher, da es die Arbeitsstellen und sogar die Berufe, die sie vor dem Mauerfall ausgeübt hatten, nicht mehr gab.
Für Riccardo war diese Zeit aber sehr spannend. Er ist abends oft ins Kino gefahren und war Billard spielen. Es gab natürlich auch Wochen, in denen man gar nicht nach West-Berlin fuhr. Langsam spielte es sich ein. Zum Beispiel gab es irgendwann viele Sachen aus West-Berliner Supermärkten in den alten Kaufhallen, so musste man nicht mehr wegen allem nach West-Berlin rüber.
Für ihn war der Westen vorher nie ein großes Thema. Er hatte keine West-Verwandten und auch keinen Kontakt zum Westen. Das Interesse war einfach nicht vorhanden. Riccardo hatte als Kind und Jugendlicher immer Glück, eine relativ schöne Zeit in Ost-Berlin zu haben. Gerade deshalb war West-Berlin nicht so präsent bei ihm.
Als dann plötzlich die Grenze offen war, hatte er natürlich trotzdem eine riesige Liste an Wünschen, ist rübergegangen und hat gestaunt. Vor allem am Anfang, im November, wo es schnell dunkel wurde und alles blinkte und glitzerte. Das war das, was auffiel und später zur Weihnachtzeit schmückten alle ihre Fenster. Vor allem die Schwibbögen am Fenster fand Riccardo interessant. Auch, wenn es neu und interessant war, haben ihn die blinkenden und blitzenden Lichter aber auch irritiert. Es war einfach ganz anders als in Riccardos „altem“ Leben.
Was ihm auch aufgefallen war, war der Klamottenstil. Man konnte die Menschen nur anhand der Kleidung in Ost-Berliner und West-Berliner einteilen. Es dauert, bis sich der Kleidungsstil angeglichen hatte. Für ihn waren auch die Autos von Interesse und aus seinem Fenster sah er immer wieder, wie Flugzeuge nach Tegel fliegen. Er kannte die Flugzeuge und er kannte die Fluggesellschaften. So kaufte er sich dann Plastikbausätze und baute sie nach. Ansonsten erzählte Riccardo noch, dass sich sein Alltag sonst nicht sehr viel geändert hatte.
Am Ende beschrieb Riccardo noch, wie unterschiedlich die Preise waren und erklärte dies bildlich an dem Beispiel des Brotes, das auf der Westseite für Ostdeutsche wegen des Währung Tausches so enorm teuer war. Trotzdem gab es aber sehr viel mehr Auswahl, das gefiel ihm.
Für Ost-Berliner war es etwas sehr Besonderes, die ersten Male in einen total neuen Teil derselben Stadt zu kommen, in der sie seit Jahren lebten. Vor allem für Personen wie Riccardo, die keinen Bezug zum Westen hatten. Es gab mehr Auswahl, war freier und fortschrittlicher. Der Westen wurde schnell zum Trendsetter für die Ost-Berliner Jugendlichen. Auch wenn viele sich den „neuen“ Lebensstil nicht leisten konnte.
Wir bedanken uns bei Riccardo, dass er sich bereiterklärt hat mit uns das Interview zu führen und uns von seiner Vergangenheit zu erzählen.
Autoren: Janek, Erkki & Konstantin