Klavier mit Noten, zwei Hände spielen auf dem Klavier
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Es ging alles relativ schnell!

Heike* ist Ende sechzig und in Berlin aufgewachsen. Sie studierte nach dem Abitur vier Semester lang Jura und wollte eigentlich Juristin werden. Ihr Studium gab sie dann aber auf und sie lernte den Beruf des Musikalien-Händlers. Während ihrer Schul- und Studienzeit arbeitete Heike gelegentlich bei einem Musikalien-Handel, der in West-Berlin liegt und von dem Vater ihres Mannes geleitet wurde. Dadurch war sie, wie ihr Mann, Junior-Chef. Ihre eigenen ersten Eindrücke, als sie in dem Musikalien-Handel gearbeitet hat, waren, dass der Beruf des Musikalien-Händlers ein sehr interessanter Job ist. Ihr hat der Beruf viel besser gefallen als irgendwann Juristin zu sein. Sie arbeitet jetzt schon seit 1972 dort und sie ist, seitdem es nicht mehr ein Familienbetrieb ist, stellvertretende Filialleiterin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in zwei Teile geteilt – die DDR und die BRD. Die DDR entschied sich für die zentralistische Planwirtschaft, was bedeutet hat, dass jedes Unternehmen bestimmte Vorgaben erfüllen musste. Beispielsweise waren die Preise und Herstellungskosten festgelegt. Dagegen wählte die BRD die soziale Marktwirtschaft, als Kompromiss zwischen einer Marktwirtschaft wie in Amerika und dem Sozialsystem in Deutschland. Dies führte zu einem unerwartet schnellen und nachhaltigen Wirtschaftswachstum, welches auch das Wirtschaftswunder genannt wird. Im Gegensatz dazu erging es der Planwirtschaft in der DDR immer schlechter, da die Betriebe ohne Konkurrenz keinen Anreiz hatten, gute Produkte herzustellen und zu vermarkten.Nachdem die Mauer dann gefallen war, übernahm die BRD die DDR und es änderte sich einiges im gesamten Land.

Wir interessierten uns in unserem Projekt für die Unterschiede vor und nach dem Mauerfall. Dafür führten wir ein Interview mit Heike, da sie schon seit 1972 bei dem West-Berliner Unternehmen arbeitet, dadurch die Wende miterlebt hat und sie sich somit für ein Interview zum Thema perfekt eignet. Heike konnte ausführlich über die Veränderungen in dem West-Berliner Unternehmen vor und nach dem Mauerfall, was unsere Leitfrage war, berichten. 

Als wir zum Geschäft gefahren sind, um ein Gespräch zu vereinbaren, haben wir gleich am nächsten Tag einen Termin bekommen. Das Interview führten wir dann im Geschäft bei laufendem Betrieb an einem kleinen Tisch durch. 

Zunächst haben wir Heike ein paar allgemeine Fragen gestellt. Dadurch haben wir unter anderem erfahren, dass der Musikalien-Handel seit 1910 existiert und sogenannte Musikalien, darunter Noten, Bücher über Musik und Theorie und Biografien, im Sortiment angeboten werden. Früher verkauften sie aber überwiegend Tonträger für Schallplatten. Insgesamt bieten sie alles im Geschäft an, was mit Musik zu tun hat und besonders bekannt ist das Unternehmen für spezielle Notenbücher, die es nur dort gibt. In der heutigen Zeit läuft das Geschäft im Unternehmen wieder sehr gut, da Schallplatten wieder populär sind und dadurch wieder viele davon verkauft werden. Kurz nach der Wende ging das Unternehmen aufgrund von Fehlentscheidungen, die nichts mit dem Mauerfall zu tun hatten, in Insolvenz. Aufgrund dessen wurde das Unternehmen von einer größeren Firma übernommen, wobei es innerbetrieblich aber keine großen Veränderungen gab. 

Als Nächstes stellten wir ihr Fragen zu möglichen Neuheiten, die in dem West-Berliner Unternehmen nach dem Mauerfall aufgetreten sein könnten. Hierbei haben wir erfahren, dass schon wenige Tage nach dem Mauerfall das Geschäft die Aufmerksamkeit der Ost-Berliner erweckte, die neugierig durch die Fenster schauten. Die vielen neuen Kunden, die größtenteils aus Ostdeutschland waren, fragten auch nach Komponisten, welche das Geschäft gar nicht im Sortiment hatte, sodass dieses mit der Zeit, aufgrund der Nachfrage, erweitert wurde. Weiter erzählte sie, dass sich die Kundenzahl nach der anfänglichen Euphorie wieder einpendelte. Bei den Preisen der Produkte gab es dagegen aber keine Veränderungen, da Noten und Bücher in Deutschland an einen bestimmten Preis gebunden sind. Alles das, was 7 % Mehrwertsteuer hat, wird vom Staat preislich abgeregelt und da die BRD die DDR sozusagen übernommen hat, änderte sich an dieser Regelung auch bis heute nichts. Das betrifft also alle Druckerzeugnisse. Bei den Produkten, wo man die Preise selbst festlegen durfte, gab es aber auch keine nennenswerten Veränderungen. Da wir vorerst angenommen haben, dass sich die Preise auch in West-Berliner-Läden durch den Mauerfall verändert hätten, hat es uns sehr überrascht, als Heike aussagte, dass sich die Preise bei ihrem Geschäft nach dem Mauerfall nicht erhöht haben. 

Erstaunlich fand Heike, dass nicht nur die Ost-Berliner neue Produkte aus dem Westen kennenlernten, sondern auch die West-Berliner Komponisten aus der Sowjetunion für sich entdeckten. Die Werke dieser Komponisten wurden nach dem Mauerfall auch in den West-Berliner Geschäften verkauft. So profitierte nicht nur der Osten von der westlichen Kultur, sondern auch die westliche Gesellschaft von der Kultur des Ostens.

Ein großes Problem war, dass nach dem Mauerfall und nach der Wiedervereinigung viele ostdeutsche Musikalien-Handlungen schließen mussten. Beispielsweise erzählte Heike, dass zwei Ost-Berliner Musikalien-Handlungen direkt nach der Wende geschlossen haben, weil sie wahrscheinlich mit der neu entstandenen Konkurrenz aus dem Westen nicht mehr zurechtkamen oder von westlichen Unternehmen aufgekauft wurden. Deshalb konnten sie nach der Wende ca. fünf oder sechs neue Mitarbeiter aus den geschlossenen Unternehmen übernehmen. Der Mauerfall hatte also keine negativen Auswirkungen auf das Unternehmen, in dem sie arbeitet.

Heike fand die Veränderungen, die der Mauerfall mit sich brachte, sehr gut, da nun Deutschland wiedervereint war und so die Leute im Osten wieder frei waren. Auch wenn Heike am Ende aussagte, dass sie keine geschäftlichen Veränderungen feststellen konnte, gab es durchaus Veränderungen, die sie im Laufe des Interviews möglicherweise unbewusst erzählte. Beispielsweise fanden wir heraus, dass der Mauerfall auch zu ihrer persönlichen Weiterentwicklung und zu der bereits erwähnten Erweiterung des Sortiments und des Personals des Geschäfts führte. Zum Beispiel lernte sie neue Komponisten kennen, die dann auch im Sortiment des Geschäfts ergänzt wurden. Außerdem wurden Arbeitskräfte aus Ostberlin eingestellt und die Kundschaft änderte sich durch neue Kunden aus dem östlichen Teil Deutschlands. Verständlicherweise waren aber die Unterschiede nach dem Mauerfall nicht so groß wie bei einem Unternehmen aus der DDR, da dort eine Umstellung des staatlichen Systems stattfand. Aus unserem Interview kann man schließen, dass der Mauerfall keine großen Auswirkungen auf den West-Berliner Kleinhandel hatte. Daher hatte Heike damals auch keine großen Erwartungen an die Zukunft, da für sie persönlich eigentlich fast alles gleichblieb. Sie freute sich aber trotzdem, wenn neue Kunden in das Geschäft gekommen sind. Zudem hat sie immer versucht, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen, egal, woher sie kamen.

Wir danken Heike herzlich dafür, dass sie sich bereit erklärt hat, mit uns ein Interview zu führen. Außerdem danken wir ihr dafür, dass sie uns Auskunft über ihre Erfahrungen und Erinnerungen zu der damaligen Zeit gegeben hat.

* Zum Schutz der Privatsphäre wird ein Pseudonym verwendet.

Autor: Yannick Städtler

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