Vier alte Ausgaben der Zeitung "Volks auf dem Weg"
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Zwangszuhause – von der Regierung weggeschickt

Wir haben uns bei unserem Thema für die Fluchtgeschichte von Linas Großeltern entschieden, die nach Hamburg gekommen sind, um hier zu wohnen. Wir wollten in diesem Zusammenhang erfahren, wie es gewesen sein muss, auf der Flucht zu wohnen und täglich zu leben.

Christina und Ferdinand sind Ende 70 und Anfang 80, beide geboren in der Ukraine und haben im Laufe ihrer Arbeitszeit viele unterschiedliche Jobs angenommen. Zuletzt waren sie als Hausmeister und Sekretärin an einer Fachhochschule tätig und genießen jetzt in Deutschland ihr Dasein als Rentnerpaar. Die beiden eignen sich als Gesprächspartner zum Thema „Russlanddeutsche“, da sie selbst 1945 aus Deutschland in die Sowjetunion zwangsverschleppt worden sind und 1976 mit der Familie wieder nach Deutschland geflüchtet sind. Wir haben uns diesbezüglich vor allem für die Wohn- und Lebensumstände interessiert, die während dieser Fluchtgeschichte ihren Alltag geprägt haben. Sie kennen also die schweren Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg und das Gefühl, wenn man ständig unfreiwillig unterwegs sein muss.

Für das Interview haben wir uns mit Christina und Ferdinand bei Lina zu Hause getroffen, da sie die Großeltern von Lina sind und wir dort eine sehr ruhige und gelassene Stimmung hatten. Wir haben die beiden zuerst gefragt, wer von den Vorfahren als erstes ausgewandert ist. Leider wussten sie nicht, wer zuerst ausgewandert ist. Dafür wussten sie den Grund, nämlich hatte damals Katharina II. die deutschen Bürger nach Russland eingeladen, um dort dünn besiedelte Gebiete bewirtschaften zu lassen. Die süddeutschen Familien wurden in die Ukraine geschickt, dazu zählten auch Christina und Ferdinand. Begonnen hat alles am 22. Juli 1763 und ging fast ein Jahrhundert lang.

Danach folgten die Lebensgeschichten von Christina und Ferdinand, beginnend in ihrer Kindheit bis jetzt. Ferdinand ist 1938 in der Ukraine geboren, wurde allerdings schon mit fünf Jahren, im Sommer 1944 mit seiner Familie nach Deutschland zwangsverschleppt. Im Winter 1944/45 sind sie, mit Zwischenstopps in Rumänien und Polen, in Deutschland angekommen. Bei Christina war es ähnlich, allerdings war sie nur ein paar Monate alt, als sie aus der Ukraine nach Deutschland kam. Beide Familien blieben nicht lange in Deutschland, da sie im Oktober/November 1945 zurück nach Russland verschleppt wurden. Ursprünglich wurde allen Familien versprochen, dass sie sich immerhin ihre neue Heimat aussuchen dürfen. Jedoch kam es anders als behauptet, denn am Bahnhof wurde für einen entschieden, wo man hingebracht wird.

Für Christina ging es nach Sibirien und für Ferdinand sowie für die meisten ging es nach Tadschikistan. Damals wurde man in Gemeinden von 20.000 Bürgern gesteckt und hat in Steinhäusern, oft auch mit anderen Familien, gelebt und musste vor Ort harte Arbeit verrichten. In Tadschikistan wurden die Menschen bei 40°C auf die Felder geschickt, um Baumwolle zu ernten. In Sibirien gingen die Menschen bei einer Kälte von -20°C bis -30°C in die Wälder, um Bäume zu fällen.

Christina und ihre Familie reisten dann im Jahr 1959 nach Tadschikistan, wo sie Ferdinand kennenlernte und mit ihm eine Familie gründete. 1974 sind sie nach Moldawien umgezogen und von dort 1976 nach Deutschland, weil Teile ihrer Familie schon in Deutschland waren und sie ihnen folgen wollten. Allerdings hatte diese Reise ein paar Zwischenstopps. Von Moldawien ging es nach Moskau, dann mit dem Flugzeug nach Frankfurt und von dort mit dem Zug in das Durchgangslager Friedland, wo jeder Russlanddeutsche nach seiner Ankunft in Deutschland hin musste. Nachdem sie ein paar Tage in dem Durchgangslager in Friedland verbracht haben, ging es für sie in das Übergangslager Harburg. Dort blieben sie für eineinhalb Jahre. Danach sind sie in eine Dienstwohnung gezogen, als Ferdinand Arbeit gefunden hat.

Anschluss zu finden, war für die beiden nicht schwer, da sie bereits in Tadschikistan sehr viel Deutsch gesprochen haben. Dafür war die Zeit vor der Flucht nicht besonders einfach, schließlich mussten sie sich andauernd umgewöhnen und mit wenig Nahrung, harter Arbeit sowie unerträglichen Temperaturen auskommen. Dazu kommt auch, dass sie keine dieser Reisen freiwillig gemacht haben, sondern von der Politik dazu gedrängt worden sind.

Das Interview mit Christina und Ferdinand hat erneut gezeigt, wie das Leben einfacher Menschen für die Politik und Wirtschaft ausgenutzt und als unbedeutsam angesehen wird.
Zuerst von Katharina II. für die Wirtschaft nach Russland reisen zu müssen, danach die Deutschen nach dem Krieg zu unterstützen, nur um kurz darauf wieder für Ordnung in Russland zu sorgen, ist für jede Familie viel und sehr schwer gewesen. Man musste unter schlimmen Umständen aufwachsen und arbeiten, es wurde keinerlei Rücksicht genommen. Dementsprechend galt man nicht als Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen, sondern lediglich als „Arbeitstier“, wo nur die erbrachte Leistung und der Erfolg für die Wirtschaft zählte.

Es war wichtig, dieses Interview zu führen, da man gerade durch Familienmitglieder noch mehr nachvollziehen kann, wie schwer das Leben eines Immigranten ist und was man alles auf sich nehmen muss, um ein gutes Leben führen zu können.

Wir danken Christina und Ferdinand für ihre Zeit und Offenheit uns gegenüber.

Autorinnen: Lina und Natalia

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